Cannabis ist mittlerweile fester Bestandteil gesellschaftlicher Debatten. Was in medizinischen Kontexten immer spannender wird und im Freizeitbereich immer selbstverständlicher konsumiert wird, hat dennoch eine Schattenseite: die Cannabis-Sucht. Doch wie steht es tatsächlich um das Suchtpotenzial von Cannabis? Wer ist besonders betroffen – und welche Rolle spielen biologische, psychologische und soziale Faktoren dabei? Studien liefern differenzierte Antworten – und zeigen: Die Gefahr ist real, aber nicht für alle gleich.
Das Wichtigste in Kürze:
- Cannabis kann abhängig machen, vor allem bei regelmäßigem und frühem Konsum.
- Die Sucht verläuft meist psychisch, mit Antriebslosigkeit, Rückzug und Kontrollverlust.
- Jugendliche, psychisch Vorbelastete und sozioökonomisch Benachteiligte sind besonders gefährdet.
- Der Entzug dauert etwa ein bis zwei Wochen, psychische Symptome stehen im Vordergrund.
- Es gibt keine zugelassene Medikamententherapie, aber Verhaltenstherapie zeigt gute Erfolge.
Cannabis als Auslöser einer Sucht
Die amerikanische Psychiatrie-Gesellschaft (American Psychiatric Association) zählt die sogenannte Cannabiskonsumstörung zu den Substanzstörungen – also zu jenen Problemen, die entstehen, wenn Menschen trotz negativer Auswirkungen immer wieder zur gleichen Substanz greifen.
Typisch für solche Störungen ist, dass das Belohnungssystem im Gehirn dauerhaft angesprochen wird. Man fühlt sich kurzfristig gut – und will dieses Gefühl immer wieder erleben. Neben Cannabis können auch Alkohol, Nikotin, Schmerzmittel oder sogar Koffein ähnliche Muster auslösen.
Cannabis-Konsum: Wie groß ist das Risiko einer Abhängigkeit?
Eine große US-Studie hat untersucht, wie wahrscheinlich es ist, dass Konsumentinnen im Laufe ihres Lebens süchtig werden – je nach Substanz
- Tabak: 67,5 %
- Alkohol: 22,7 %
- Kokain: 20,9 %
- Cannabis: 8,9 %
Im Vergleich wirkt Cannabis also weniger gefährlich – ganz risikolos ist es aber nicht. Und: Diese Zahlen beziehen sich auf den Freizeitkonsum. Bei medizinischem Cannabis im Rahmen einer Therapie sieht die Lage oft anders aus. Dazu später im Artikel mehr.
Risikofaktoren einer Abhängigkeit von Cannabis
Warum werden manche Menschen süchtig vom Cannabiskonsum – und andere nicht? Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Aber Forschende kennen verschiedene Risikofaktoren, die eine Abhängigkeit wahrscheinlicher machen:
1. Die eigene Geschichte
Jugendliche, die unter ADHS, Angststörungen, Depressionen oder Verhaltensauffälligkeiten leiden, sind besonders gefährdet. Wer schon in jungen Jahren belastet ist, hat ein höheres Risiko, später problematisch zu konsumieren.
2. Das soziale Umfeld
Ein instabiles Zuhause, schlechte Schulerfahrungen, Tabakkonsum oder ein niedriger sozialer Status erhöhen ebenfalls die Wahrscheinlichkeit. Auch wer viele Freund:innen hat, die kiffen, ist eher selbst gefährdet – und hat es später schwerer, wieder aufzuhören.
Und wie sieht es in der Schule aus?
Cannabis steht seit Jahren im Verdacht, schlechte Noten oder Schulabbrüche zu fördern. Studien zeigen aber: Der Zusammenhang ist weniger eindeutig als gedacht. Oft spielen andere Faktoren eine größere Rolle – etwa das Schulschwänzen, familiäre Probleme oder der Konsum von Alkohol und anderen Substanzen.
Spannend sind Zwillingsstudien: Selbst wenn ein Zwilling regelmäßig Cannabis konsumiert und der andere nicht, zeigen sich oft keine Unterschiede beim späteren Bildungsweg. Klar ist aber: Wer als Jugendlicher viel konsumiert, riskiert negative Effekte auf die Gehirnentwicklung.
3. Gene und Biologie
Auch die Veranlagung spielt eine Rolle. Manche Menschen haben ein höheres Sucht-Risiko, das in ihren Genen steckt. Diese Veranlagung betrifft meist mehrere Substanzen oder Verhaltensmuster – nicht nur Cannabis.
Das Zusammenspiel vieler Faktoren
Gerade in der Jugend ist das Umfeld prägend: Wenn Freunde konsumieren, ist die Wahrscheinlichkeit höher, selbst zu konsumieren – und später Schwierigkeiten zu haben, damit aufzuhören. Auch im Erwachsenenalter wirkt das soziale Milieu als Verstärker. Kurz gesagt: Die Ursachen für eine Substanzstörung sind stets multifaktoriell. Eine monokausale Erklärung greift zu kurz.
Folgen der Cannabis-Abhängigkeit
Eine ausgeprägte Cannabiskonsumstörung kann tiefgreifende Folgen haben – psychisch, sozial, beruflich. Häufige Konsequenzen sind:
- Nachlassende kognitive und körperliche Leistungsfähigkeit
- Rückzug aus sozialen Beziehungen
- Berufliche oder schulische Probleme
- Erhöhtes Risiko bei bestimmten Tätigkeiten (z. B. Autofahren, Maschinenarbeit)
Besonders gravierend: Konsumierende setzen sich möglicherweise fortlaufend psychischen Belastungen aus, obwohl sie wissen, dass sich ihre Probleme dadurch verschärfen könnten.
Cannabis-Entzug: Was Betroffene erleben
Beim Absetzen von Cannabis kann es zu einer Vielzahl von Entzugssymptomen kommen. Die psychischen Beschwerden überwiegen dabei gegenüber den physischen.
Psychische Entzugserscheinungen
- Reizbarkeit
- Unruhe
- Angst
- Depression
- Aggressivität
- Appetitlosigkeit
- Schlafstörungen
Physische Entzugserscheinungen
- Schmerzen
- Zittern
- Schwitzen
- Erhöhte Körpertemperatur
- Schüttelfrost
Während die körperlichen Symptome eher mild verlaufen, stellt die psychische Komponente eine große Hürde für viele dar – insbesondere in der ersten Woche nach dem Absetzen.
Behandlung: Gibt es eine Therapie gegen Cannabisabhängigkeit?
Eine einheitliche Therapie existiert bislang nicht. Eine Psychotherapie ist möglich, jedoch herausfordernd. Medikamente wie Antidepressiva, Anxiolytika oder Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer zeigten bislang keine zuverlässige Wirkung gegen die Cannabiskonsumstörung – zugelassen ist keines dieser Mittel.
Interessanterweise gibt es erste Hinweise darauf, dass ausgerechnet Cannabidiol (CBD) – ein nicht berauschender Wirkstoff der Cannabispflanze – helfen könnte. In einer placebokontrollierten Studie reduzierte eine hohe Dosis von 400 bis 800 mg CBD täglich den Konsum moderat. Doch die Autorinnen mahnen zur Vorsicht Die verabreichte Menge liegt weit über handelsüblichen CBD-Präparaten. Weitere Studien sind notwendig.
Die Mär von der Einstiegsdroge
Oft wurde behauptet, Cannabis sei ein Türöffner zu härteren Drogen. Doch dieser Mythos lässt sich nicht halten. Zwar konsumieren viele Heroinabhängige auch Cannabis – doch liegt das vermutlich eher an der generellen Verfügbarkeit. Alkohol oder Nikotin zeigen ähnliche Muster.
Ein Aspekt jedoch verdient Beachtung: Viele mischen Cannabis mit Tabak – was zu einer Nikotinabhängigkeit führen kann. In diesem Sinne ist Cannabis durchaus ein Einstieg, jedoch nicht zwingend zu „härteren“ Drogen, sondern zum Tabakkonsum.
Wie gefährlich ist medizinisches Cannabis?
Seit 2017 dürfen Ärzt:innen in Deutschland Cannabis auf Rezept verschreiben. Und zwar bei Erkrankungen wie chronischen Schmerzen, Appetitlosigkeit im Rahmen einer Krebstherapie oder Schlafstörungen. Der große Unterschied zum Freizeitkonsum liegt in der Motivation – und in der Dosierung.
Wer aus medizinischen Gründen konsumiert, nimmt oft eine gleichbleibend niedrige Menge ein. Ein berauschender Effekt steht nicht im Vordergrund. Die Gefahr, abhängig zu werden, ist hier deutlich geringer als beim Frezeitkonsum.
WICHTIG:
Wie bei allen Medikamenten sollte die Wirkung regelmäßig überprüft werden. Die Therapie kann individuell angepasst werden – und wer Cannabis auf Rezept nutzt, sollte dieses und einen Patientenausweis mit sich führen.
Fazit: Macht Cannabis süchtig?
Ja – Cannabis kann abhängig machen. Aber das Risiko ist geringer als bei anderen Drogen wie Alkohol oder Nikotin. Dennoch ist eine Verharmlosung gefährlich. Denn wenn es zur Sucht kommt, sind die psychischen und sozialen Folgen oft gravierend.
Ob jemand eine Cannabiskonsumstörung entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab: der eigenen Veranlagung, dem sozialen Umfeld, psychischen Belastungen oder genetischer Anfälligkeit. Oft zeigt sich: Wer in instabilen Verhältnissen aufwächst, ist grundsätzlich anfälliger für riskantes Verhalten – nicht nur beim Kiffen.
Selbsttest und Hilfe
Wer unsicher ist, ob ersie den Konsum von Cannabis im Griff hat oder ob eine Cannabis-Sucht vorliegt, kann unter drugcom.de einen Selbsttest machen. Achtung Der Test richtet sich nur an Freizeitkonsumentinnen, nicht an medizinische Patientinnen. Auch eine Online-Beratung findet sich bei dem Angebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
FAQ
Wie äußert sich die Abhängigkeit von Cannabis?
Die Abhängigkeit von Cannabis äußert sich vor allem psychisch: Betroffene verspüren ein starkes Verlangen nach der Substanz, verlieren die Kontrolle über Häufigkeit und Menge des Konsums und setzen diesen fort, obwohl er negative Folgen hat – etwa Konzentrationsprobleme, Antriebslosigkeit oder soziale Konflikte. Häufig ziehen sie sich aus ihrem Umfeld zurück, vernachlässigen Verpflichtungen und richten ihren Alltag zunehmend am Konsum aus. Bei einem Entzug treten zudem Symptome wie Reizbarkeit, Schlafstörungen, Unruhe oder Stimmungsschwankungen auf.
Wie lange dauert ein Entzug von Cannabis?
Ein Cannabis-Entzug dauert in der Regel ein bis zwei Wochen, wobei die intensivsten Symptome meist in den ersten sieben Tagen auftreten. Dazu zählen psychische Beschwerden wie Reizbarkeit, Schlafstörungen, Unruhe, Angst oder depressive Verstimmungen. Körperliche Symptome wie Schwitzen, Zittern oder Appetitlosigkeit können ebenfalls vorkommen. In manchen Fällen – insbesondere bei langjährigem, täglichem Konsum – kann es auch nach mehreren Wochen noch zu Nachwirkungen wie innerer Unruhe oder Schlafproblemen kommen.
Quellen
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