Während sich die öffentliche Cannabis-Debatte lange auf THC und CBD konzentrierte, blieb eine Vielzahl weiterer Inhaltsstoffe unbeachtet. Über 140 Cannabinoide hat die Wissenschaft bislang identifiziert, viele davon kaum erforscht, einige mit überraschendem Potenzial. Was wissen wir über diese Substanzen? Und was könnten sie bewirken – im Körper, in der Medizin, vielleicht sogar in der Gesellschaft? Dieser Artikel unternimmt den Versuch, Licht ins molekulare Dickicht zu bringen – und zeigt, warum gerade das Unbekannte manchmal die größte Hoffnung birgt.
Das Wichtigste in Kürze:
Cannabis enthält weit mehr als nur THC und CBD – über 140 weitere Cannabinoide wurden identifiziert, viele davon mit bislang wenig erforschter Wirkung.
Das Endocannabinoidsystem spielt eine zentrale Rolle für die Regulation zahlreicher Körperfunktionen – pflanzliche und synthetische Cannabinoide könnten es gezielt beeinflussen.
Wirkung ist nicht gleich Wirkung – selbst kleine chemische Unterschiede zwischen Cannabinoiden könnten große Unterschiede in der psychoaktiven und therapeutischen Wirkung auslösen.
Der Entourage-Effekt zählt – das Zusammenspiel von Cannabinoiden, Terpenen und Flavonoiden kann die Wirkung der Pflanze maßgeblich verändern.
Synthetische Cannabinoide sind ambivalent – einige sind als Medikamente etabliert, andere zirkulieren unreguliert als gefährliche Designer-Drogen.
Noch stehen wir am Anfang einer Reise, deren Ziel ebenso vielversprechend wie ungewiss ist: die Erforschung der Cannabispflanze als Heilmittel. Zwar ist ihr Ruf nicht frei von Widersprüchen, doch zugleich fasziniert sie durch ihre Vielgestaltigkeit. Was macht diese Pflanze so besonders? Warum findet sie sowohl in der medizinischen Praxis als auch im Wellnessmarkt der Gegenwart immer neue Einsatzgebiete?
Der Schlüssel zu dieser Vielseitigkeit liegt im Inneren der Pflanze: Inzwischen konnten Wissenschaftler über 500 verschiedene Inhaltsstoffe identifizieren [1], darunter mehr als 144 Cannabinoide – Substanzen, die mit körpereigenen Rezeptoren in Wechselwirkung treten können. Daneben finden sich auch sogenannte Terpene und Flavonoide – Duft- und Aromastoffe, wie man sie auch aus anderen Pflanzen kennt. Doch ihr Einfluss reicht über die Sinneswahrnehmung hinaus: Auch sie könnten, wie aktuelle Studien nahelegen, physiologische Wirkungen entfalten.
Zwei der bekanntesten Cannabinoide dürften den meisten inzwischen geläufig sein: CBD, das oft mit entspannender Wirkung assoziiert wird, und THC, der psychoaktive Bestandteil, der über Jahrzehnte den öffentlichen Diskurs prägte. Vielleicht hast du auch schon vom Endocannabinoidsystem gehört – einem körpereigenen Netzwerk, das genau für diese Substanzen empfänglich ist.
Doch die Cannabispflanze ist weit mehr als die Summe ihrer prominentesten Inhaltsstoffe. In diesem Text soll es auch um jene Cannabinoide gehen, die bislang nur selten das Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit erreicht haben. Was bewirken sie? Wie wirken sie im Zusammenspiel – miteinander und mit unserem Körper? Fragen, die am Beginn einer wissenschaftlichen Erkundung stehen – aber das Potenzial haben, unser Verständnis von Heilpflanzen grundlegend zu verändern.
Tipp:
Hier geht’s zu unserem Artikel zu den Cannabinoiden CBD und THC.
Endocannabinoidsystem – so wirken Cannabinoide im Körper
Lange war es dem menschlichen Blick verborgen, obwohl es in jedem von uns wirkt: das Endocannabinoidsystem. Erst in den frühen 1990er-Jahren wurde es wissenschaftlich beschrieben – ein Netzwerk aus Rezeptoren und körpereigenen Signalstoffen, das seither unser Verständnis von Gesundheit und Regulation verändert.
Cannabinoid-Rezeptoren sind der Schlüssel
Im Zentrum dieses Systems stehen zwei Rezeptortypen: CB1 und CB2. Diese sogenannten Cannabinoid-Rezeptoren sind über den gesamten Körper verteilt – im Gehirn, im Immunsystem, im Verdauungstrakt. Ihre Aufgabe: Sie empfangen Signale sogenannter Endocannabinoide, Substanzen, die unser Körper selbst produziert. Zwei von ihnen sind besonders gut erforscht: 2-Arachidonoylglycerol (kurz: 2-AG) und Anandamid, Letzteres benannt nach dem Sanskrit-Wort für Glückseligkeit.
Diese körpereigenen Botenstoffe regulieren eine Vielzahl zentraler Funktionen – sie beeinflussen, wie wir Schmerz empfinden, wie hungrig wir sind, wie sich unsere Muskeln anspannen, wie unser Blutdruck schwankt. Auch die Immunabwehr und der Schlaf-Wach-Rhythmus stehen unter dem Einfluss des Endocannabinoidsystems. Es ist ein fein abgestimmtes System der Balance – nicht spektakulär, aber essenziell.
Gerät diese Balance aus dem Lot, kann das spürbare Folgen haben: von chronischen Schmerzen über Schlaflosigkeit bis hin zu entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn. Hier beginnt die medizinische Relevanz der Cannabispflanze.
Cannabinoide der Cannabispflanze
Denn Cannabis produziert ebenfalls Cannabinoide – genauer gesagt Phyto-Cannabinoide, pflanzliche Entsprechungen unserer körpereigenen Signalstoffe. Sie ähneln den Endocannabinoiden strukturell so sehr, dass sie sich an dieselben Cannabinoid-Rezeptoren binden können – und so in das empfindliche Gleichgewicht des Endocannabinoidsystems eingreifen.
Die Hypothese: Durch diese Wechselwirkung können bestimmte Leiden gelindert werden. Die Wissenschaft spricht hier von einer potenziellen Wiederherstellung der Homöostase – also jenem Zustand inneren Gleichgewichts, ohne den kein Organismus dauerhaft bestehen kann [2].
Noch stehen viele Antworten aus. Doch der Blick ins Innere unseres Körpers – und auf das, was Pflanzen in ihm auslösen – erzählt eine Geschichte, die längst nicht zu Ende geschrieben ist.
Stille Vielfalt: Diese Cannabinoide gibt es in der Cannabispflanze
Noch stehen wir am Anfang eines botanisch-chemischen Entdeckungsprozesses. Jahrzehntelang wurde Cannabis in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem als „Teufelskraut“ verhandelt – Symbol für Rebellion, Sucht oder Kontrollverlust. In diesem Schatten blieben seine molekularen Feinheiten lange unbeachtet. Erst jetzt beginnt man zu begreifen, welch komplexes Stoffuniversum diese Pflanze in sich trägt.
Die Forschung geht mittlerweile von mehr als 144 verschiedenen Cannabinoiden aus – Verbindungen, die ausschließlich in der Cannabispflanze produziert werden. Doch damit endet ihre Geschichte nicht. Durch äußere Einflüsse wie Hitze, Licht oder Oxidation verwandeln sich diese Substanzen in weitere Formen. Ein Molekül kann dabei mehrere Namen tragen – je nach dem Stadium, in dem es sich gerade befindet.
So beginnt beispielsweise THC – das bekannteste Cannabinoid – seine Entwicklung als CBGA, der sogenannten „Mutter aller Cannabinoide“. Aus ihr entsteht durch enzymatische Prozesse THCA, die saure Vorstufe, die erst durch Decarboxylierung – etwa beim Erhitzen – in das psychoaktive THC überführt wird.
Die Namensähnlichkeiten unter den Cannabinoiden sind oft trügerisch. Ein einzelner Buchstabe – ein A, ein V, ein D – kann für eine andere chemische Variante stehen, mit teils erheblich abweichender Wirkung. Eine winzige Veränderung in der Molekülstruktur kann entscheiden, ob ein Stoff berauschend wirkt oder nicht, ob er schmerzlindernd ist oder eher entzündungshemmend.
Denn Cannabinoide sind keine homogene Gruppe. Sie interagieren auf jeweils eigene Weise mit dem Endocannabinoidsystem, docken unterschiedlich stark an die Cannabinoid-Rezeptoren an oder beeinflussen deren Aktivität indirekt. So entstehen nicht nur variierende physiologische Effekte, sondern auch unterschiedliche therapeutische Potenziale – ein Umstand, der die medizinische Forschung ebenso herausfordert wie inspiriert.
Wenn Moleküle Gesellschaft bekommen: Der Entourage-Effekt
Doch das Zusammenspiel im Körper geht über die Cannabinoide hinaus. Mit dem Verzehr – sei es als Öl, Tee oder inhalierter Extrakt – betritt eine ganze Gruppe weiterer Wirkstoffe die Bühne: Terpene, Flavonoide und andere pflanzeneigene Substanzen. Sie entfalten ihre Wirkung nicht isoliert, sondern gemeinsam mit den Cannabinoiden – ein Effekt, der in der Wissenschaft als Entourage-Effekt bekannt ist.
Die Metapher liegt nahe: Wie auf einer guten Party verändert sich die Atmosphäre mit jeder neuen Person, die den Raum betritt. Die Dynamik entsteht aus dem Zusammenspiel – nicht aus der Summe der Einzelnen. So erklärt sich auch, weshalb manche Cannabissorten als besonders entspannend, andere als anregend beschrieben werden – obwohl ihre THC-Werte vergleichbar sind. Es ist die komplexe chemische Matrix, die den Unterschied macht.
Ein kleiner Merksatz hilft bei der Orientierung: Trägt ein Cannabinoid ein „A“ am Ende, handelt es sich in der Regel um seine saure Form – eine Vorstufe, die durch Wärme in die aktive, neutrale Variante überführt werden kann. Auch das ist Teil der Vielschichtigkeit dieser Pflanze, deren Geheimnisse sich erst langsam offenbaren.
Übersicht einiger Cannabinoide abseits von THC und CBD
Der Blick auf Cannabis wird zunehmend differenzierter. Doch während THC und CBD längst Einzug in öffentliche Debatten und medizinische Erwägungen gehalten haben, bleibt die Mehrheit der über 140 bislang identifizierten Cannabinoide im Schatten. Viele dieser Substanzen sind kaum erforscht, einige erscheinen vielversprechend, andere werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Und fast alle eint ein Umstand: In Deutschland sind sie bislang nicht als Arzneimittel zugelassen. Ihre therapeutische Relevanz ist Gegenstand laufender – und dringend benötigter – Forschung.
THCA – die stille Vorstufe
Tetrahydrocannabinolsäure (THCA) ist die saure Vorstufe von THC und weist keine psychoaktiven Eigenschaften auf. In den USA wird sie mitunter als kristallines Pulver verkauft, teils auch in Kapselform – letzteres mit dem Anspruch eines therapeutischen Nutzens, der bislang wissenschaftlich nicht belegt ist. Häufig wird THCA erhitzt – ein Prozess, der als Decarboxylierung bekannt ist und zur Umwandlung in das aktive THC führt.
THCV – Appetithemmer mit Potenzial
Tetrahydrocannabivarin (THCV) gehört zu den bekannteren Cannabinoiden jenseits des Mainstreams. Es gibt Hinweise darauf, dass es appetithemmend wirkt und den Stoffwechsel anregen kann. Einige Studien deuten auf einen Einfluss auf die Insulinproduktion hin [3] – womöglich relevant für die Diabetesforschung. Auch wird vermutet, dass THCV das Wachstum neuer Knochenzellen stimulieren könnte [4]. In Bezug auf Parkinson-Erkrankungen steht die Forschung noch ganz am Anfang.
CBDV – ein Verwandter mit Wirkung
Cannabidivarin (CBDV) ist strukturell eng mit CBD verwandt, bislang jedoch wenig erforscht. In Studien konnte CBDV die Anfallshäufigkeit bei Epilepsiepatienten deutlich senken [5], zudem wurde in Tierversuchen ein Effekt gegen Übelkeit festgestellt [6].
CBC – das stille Multitalent
Cannabichromen (CBC) verfügt über eine Reihe potenziell therapeutischer Eigenschaften. In vitro zeigt es antibakterielle Effekte gegen resistente Keime. In Kombination mit THC wurden schmerzlindernde [7] und entzündungshemmende Wirkungen [8] beschrieben. Studien legen zudem nahe, dass CBC das Wachstum bestimmter Gehirnzellen anregen könnte [9], insbesondere jener, die für Gedächtnis und Lernprozesse relevant sind – was es potenziell für die Alzheimerforschung interessant macht.
CBCV – unbekannt und unerforscht
Cannabichromevarin (CBCV) ist CBC strukturell ähnlich, entsprechend werden ihm vergleichbare Wirkungen zugeschrieben. Konkrete Studien? Fehlanzeige. Die Datenlage ist derzeit so dünn, dass valide Aussagen kaum möglich sind.
CBG – das vielseitige Cannabinoid
Cannabigerol (CBG) ist in Cannabis wie auch in Hanfpflanzen enthalten. Es wirkt nicht psychoaktiv, könnte aber therapeutisch bedeutsam sein: Studien deuten auf analgetische und entzündungshemmende Eigenschaften hin [10]. Auch neuroprotektive Effekte wurden beschrieben, etwa im Zusammenhang mit Huntington-Krankheit [11], einer genetisch bedingten Erkrankung des zentralen Nervensystems. Darüber hinaus wird CBG in Krebsstudien erwähnt – etwa bei Darmkrebs [12], Prostatakrebs [13] und Mundhöhlenkarzinomen.
Auch eine Senkung des Augeninnendrucks bei Glaukom-Patienten ist denkbar [14], wenngleich weitere Studien zur Bestätigung notwendig sind. Besonders interessant erscheint CBG zudem im Kampf gegen multiresistente Keime wie MRSA [15].
Eine weitere mögliche Anwendung: Hautkrankheiten wie Psoriasis (Schuppenflechte) [16]. Hier fehlt bislang eine klinische Absicherung. Studien an Ratten deuten außerdem auf eine Wirkung auf Neurotransmitter hin [17] – ein möglicher Ansatzpunkt für neue Antidepressiva.
CBGV – Unterstützung für Haut und Immunsystem?
Cannabigerovarin (CBGV) wird in ersten Tierversuchen eine entzündungshemmende und schmerzlindernde Wirkung zugeschrieben [18]. Es könnte bei trockener Haut [19] oder Hautentzündungen eine Rolle spielen und wird auch als möglicher Kandidat für krebshemmende Therapieansätze untersucht [20]. Erste Hinweise deuten darauf hin, dass CBGV das Wachstum von Leukämiezellen hemmen könnte [21].
CBN – ein Molekül des Verfalls
Cannabinol (CBN) entsteht durch den Abbau von THCA – ein Abfallprodukt, möchte man meinen. Doch in der Praxis findet es Anwendung, etwa in der Selbstmedikation bei Schlafstörungen. Reines CBN ist jedoch nicht sedierend – die beruhigende Wirkung ergibt sich erst durch das Zusammenspiel mit THC [22].
Tierversuche zeigen, dass CBN den Appetit anregen [23], den Augeninnendruck senken [24] und antibakteriell wirken kann. In der ALS-Forschung gibt es erste Anhaltspunkte dafür, dass CBN das Fortschreiten der Krankheit bei Mäusen verlangsamen könnte. Ob sich diese Effekte auf den Menschen übertragen lassen, bleibt ungewiss – und ist Gegenstand dringend notwendiger Studien.
CBL – die unbekannte Substanz
Cannabicyclol (CBL) entsteht, wenn Cannabichromen (CBC) erhitzt wird – typischerweise in gelagertem Cannabis nachweisbar. Die wissenschaftliche Literatur zu CBL ist äußerst spärlich, auch weil der Wirkstoffgehalt in der Pflanze sehr gering ist. Studien zur Prostaglandinproduktion ergaben bislang keine Hinweise auf einen Effekt. Einzelne Forschende vermuten antiinflammatorische und antitumorale Potenziale, doch gesicherte Erkenntnisse fehlen.
Synthetische Cannabinoide: Warum Labor-Cannabis nicht gleich Labor-Cannabis ist
Während pflanzliche Cannabinoide wie THC und CBD im Mittelpunkt der Cannabis-Debatte stehen, rückt eine zweite Gruppe immer stärker in den Fokus: synthetische Cannabinoide. Sie werden im Labor hergestellt, doch ihr Ziel ist dasselbe – die Aktivierung der Cannabinoid-Rezeptoren im menschlichen Körper.
Einige dieser Stoffe haben strenge Prüfverfahren durchlaufen und sind als Arzneimittel zugelassen. Andere hingegen sind weder getestet noch reguliert, werden aber dennoch illegal vertrieben – als sogenannte Designer-Drogen, deren Gefahrenpotenzial sich oft erst offenbart, wenn es längst zu spät ist.
Zwischen Medizin und Missbrauch
Der Begriff „synthetisch“ trägt ein Spannungsverhältnis in sich: Er steht sowohl für die kontrollierte Präzision pharmazeutischer Forschung als auch für das unkontrollierbare Risiko illegaler Substanzen.
Beginnen wir mit dem Positiven. Zu den medizinisch etablierten Wirkstoffen zählen etwa Dronabinol und Nabilon. Beide wurden unter Laborbedingungen entwickelt, klinisch getestet und sind heute verschreibungspflichtige Medikamente. Sie finden Anwendung bei Übelkeit und Erbrechen im Rahmen von Chemotherapien sowie bei Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust, wie sie bei AIDS-Patient:innen auftreten können.
Diese Cannabinoide sind präzise dosierbar, gut dokumentiert und Bestandteil verantwortungsvoller medizinischer Praxis. Sie stehen für die therapeutische Seriosität, die der Cannabispflanze heute zunehmend zuerkannt wird.
Wenn Kontrolle fehlt: Das Dilemma der Designer-Drogen
Ganz anders verhält es sich mit Stoffen wie Spice oder K2. Auch sie basieren formal auf synthetischen Cannabinoiden – doch ihre Herstellung ist intransparent, ihre Zusammensetzung unklar. Was genau in den bunten Verpackungen steckt, bleibt Spekulation: Manchmal sind es Cannabinoide, manchmal andere Wirkstoffe, etwa Halluzinogene oder synthetische Opioide. In einigen Fällen wurden überhaupt keine Cannabinoide nachgewiesen – lediglich Substanzen, die an denselben Rezeptoren wirken sollen.
Die Folgen können gravierend sein. Atemstörungen, Nierenschäden, teils sogar lebensbedrohliche Zustände werden mit dem Konsum dieser Substanzen in Verbindung gebracht. Sie erscheinen unter ständig wechselnden Namen, entziehen sich durch minimale chemische Modifikationen oft der gesetzlichen Kontrolle – und tragen so dazu bei, dass das Image von Cannabis als medizinisch wirksame Substanz erneut ins Zwielicht gerät.
Ein Balanceakt zwischen Wissenschaft und Wildwuchs
Synthetische Cannabinoide sind ein ambivalentes Phänomen: Sie stehen zugleich für pharmazeutischen Fortschritt und unkontrollierbaren Substanzmissbrauch. Während die einen nach strengen Maßstäben zur Behandlung schwerer Erkrankungen eingesetzt werden, kursieren die anderen in einem Graubereich, der weit entfernt ist von jeder medizinischen Verantwortung.
Wer Cannabis als Heilpflanze ernst nehmen will, muss diese Unterscheidung klar benennen. Denn nicht alles, was auf denselben Rezeptor wirkt, ist auch gleichwertig – weder in seiner Herkunft, noch in seiner Wirkung, und schon gar nicht in seiner Sicherheit.
Die Summe ist noch nicht das Ganze
Abseits der bekannten Wirkstoffe THC und CBD offenbart sich ein chemisches Geflecht, das in seiner Tiefe bislang nur angedeutet ist – eine stille Vielstimmigkeit pharmakologisch aktiver Substanzen, die weit über das hinausgeht, was in der öffentlichen Debatte gegenwärtig verhandelt wird. Die Cannabispflanze ist längst nicht mehr nur Mythos oder Projektionsfläche, sondern ein biologisches Archiv, das seine Wirkung aus dem Zusammenspiel unzähliger Komponenten entfaltet – ein Labor der Natur, das wir gerade erst zu lesen beginnen.
Doch dieses Wissen steht am Anfang. Welche Effekte die einzelnen Cannabinoide entfalten, wie sie miteinander interagieren, welche Rolle dabei Terpene, Rezeptoren und Stoffwechselpfade spielen – all das bleibt Gegenstand intensiver Forschung. Was heute als Potenzial gilt, kann sich morgen als Irrtum erweisen – oder als therapeutischer Durchbruch.
Für Patient:innen eröffnen sich bereits jetzt verschiedene Wege: Naturstoffe aus der Pflanze, synthetisch hergestellte Präparate aus dem Labor, unterschiedliche Darreichungsformen und Wirkstoffkombinationen. Welche Therapie sinnvoll ist, muss im Dialog mit Ärztin oder Arzt individuell entschieden werden – orientiert an Erkrankung, Lebensumständen und wissenschaftlicher Evidenz.
Klar ist: Die Cannabinoidforschung steht vor einer Weggabelung. Wer sie ernst nimmt, muss bereit sein, Widersprüche auszuhalten und Hoffnung mit Skepsis zu balancieren. Vielleicht aber liegt genau darin die eigentliche Stärke dieser Substanzen: nicht in ihrer Einzelwirkung, sondern im Zusammenspiel – als mehr als die Summe ihrer Teile.
FAQ
Was sind Cannabinoide einfach erklärt?
Cannabinoide sind chemische Verbindungen, die in der Cannabispflanze vorkommen – zum Beispiel THC und CBD. Sie können im Körper wirken, weil wir ein eigenes System dafür haben: das Endocannabinoidsystem. Dieses hilft, wichtige Funktionen wie Schmerzempfinden, Appetit, Schlaf, Stimmung oder Entzündungen zu regulieren. Es gibt drei Arten von Cannabinoiden: Pflanzliche Cannabinoide (z. B. THC, CBD, CBG), körpereigene Cannabinoide (z. B. Anandamid) und synthetische Cannabinoide. Manche Cannabinoide machen high (z. B. THC), andere nicht – könnten aber trotzdem eine beruhigende, entzündungshemmende oder schmerzlindernde Wirkung haben. Noch wissen wir nicht alles über sie – aber die Forschung entdeckt ständig Neues.
Was sind synthetisch hergestellte Cannabinoide?
Synthetisch hergestellte Cannabinoide sind im Labor entwickelte Substanzen, die die Wirkung pflanzlicher Cannabinoide nachahmen. Sie binden an dieselben Rezeptoren im Körper, können aber stärker oder anders wirken. Manche sind als Medikamente zugelassen, andere werden illegal als Designer-Drogen verkauft – mit teils gefährlichen Nebenwirkungen.
Wie erkenne ich künstliche Cannabinoide?
Künstliche Cannabinoide sind mit bloßem Auge nicht zu erkennen, da sie oft als Kräutermischungen, Öle oder in bunten Verpackungen verkauft werden – etwa unter Namen wie Spice, K2 oder Legal Highs. Sie unterscheiden sich äußerlich kaum von natürlichen Produkten, enthalten aber meist keine echten Cannabisbestandteile. Warnzeichen können sein: keine klaren Inhaltsangaben, ungewöhnlich starke oder unberechenbare Wirkung, unbekannte Marken oder Onlinequellen,Verkauf als „Räuchermischung“ oder „nicht zum Verzehr geeignet“. Sicherheit bietet nur ein Labortest. Im Zweifel gilt: Finger weg – gerade bei Produkten aus dem Schwarzmarkt ist das Risiko unkalkulierbar.
Ist HHC ein synthetisches Cannabinoid?
Ja, HHC (Hexahydrocannabinol) ist ein halbsynthetisches Cannabinoid, das im Labor aus natürlichen Bestandteilen der Cannabispflanze hergestellt wird. Es kommt in der Natur nur in sehr geringen Mengen vor.
Welche Cannabinoide wirken psychoaktiv?
Psychoaktiv wirken vor allem THC (Tetrahydrocannabinol) und einige seiner Verwandten wie THCV und HHC. Auch CBN könnte in Kombination mit THC beruhigend wirken, ist allein jedoch nicht stark psychoaktiv. Die meisten anderen Cannabinoide wie CBD, CBG oder CBC wirken nicht berauschend, könnten aber andere Effekte auf Stimmung, Schmerzempfinden oder Entzündungen haben.
Quellen
- [1] Cannabis, cannabinoids, and health (Lafaye, Karila et al., 2017)
- [2] Nutritional omega-3 deficiency abolishes endocannabinoid-mediated neuronal functions (Lafourcade, Larrieu et al., 2011)
- [3] GW Pharmaceuticals Provides Update on Cannabinoid Pipeline (GW Pharmaceuticals plc, 2014)
- [4] Role of cannabinoids in the regulation of bone remodeling (Idris, Ralston, 2012)
- [5] Cannabidivarin (CBDV) suppresses pentylenetetrazole (PTZ)-induced increases in epilepsy-related gene expression (Amada, Yamasaki et al., 2013)
- [6] Evaluation of the potential of the phytocannabinoids, cannabidivarin (CBDV) and Δ(9) -tetrahydrocannabivarin (THCV), to produce CB1 receptor inverse agonism symptoms of nausea in rats (Rock, Sticht et al., 2013)
- [7] Non-psychoactive cannabinoids modulate the descending pathway of antinociception in anaesthetized rats through several mechanisms of action (Maione, Piscitelli et al., 2011)
- [8] Pharmacological evaluation of the natural constituent of Cannabis sativa, cannabichromene and its modulation by Δ(9)-tetrahydrocannabinol (DeLong, Wolf et al., 2010)
- [9] The effect of cannabichromene on adult neural stem/progenitor cells (Shinjyo, Di Marzo, 2013)
- [10] Leading the Science of Cannabis (Steep Hill, 2016)
- [11] Neuroprotective properties of cannabigerol in Huntington's disease: studies in R6/2 mice and 3-nitropropionate-lesioned mice (Valdeolivas, Navarrete et al., 2015)
- [12] Colon carcinogenesis is inhibited by the TRPM8 antagonist cannabigerol, a Cannabis-derived non-psychotropic cannabinoid (Borrelli, Pagano et al., 2014)
- [13] Non-THC cannabinoids inhibit prostate carcinoma growth in vitro and in vivo: pro-apoptotic effects and underlying mechanisms (De Petrocellis, Ligresti et al., 2013)
- [14] [Possibilities of applying cannabinoids' in the treatment of glaucoma] (Nadolska, Goś, 2008)
- [15] Antibacterial cannabinoids from Cannabis sativa: a structure-activity study (Appendino, Gibbons et al., 2008)
- [16] Evidence that the plant cannabinoid cannabigerol is a highly potent α2-adrenoceptor agonist and moderately potent 5HT1A receptor antagonist (Cascio, Gauson et al., 2010)
- [17] Cannabinoids: influence on neurotransmitter uptake in rat brain synaptosomes (Banerjee, Snyder et al., 1975)
- [18] Cannabinoids as therapeutic agents in cancer: current status and future implications (Chakravarti, Ravi et al., 2014)
- [19] Differential effectiveness of selected non-psychotropic phytocannabinoids on human sebocyte functions implicates their introduction in dry/seborrhoeic skin and acne treatment (Oláh, Markovics et al., 2016)
- [20] Cannabinoids as therapeutic agents in cancer: current status and future implications (Chakravarti, Ravi et al., 2014)
- [21] Non-hallucinogenic cannabinoids are effective anti-cancer drugs (sciencedaily.com, 2013)
- [22] Effects of delta9-tetrahydrocannabinol and cannabinol in man (Karniol, Shirakawa et al., 1975)
- [23] Cannabinol and cannabidiol exert opposing effects on rat feeding patterns (Farrimond, Whalley et al., 2012)
- [24] Cannabinoids in health and disease (Kogan, Mechoulam, 2007)[25] Synthetic and Non-synthetic Cannabinoid Drugs and Their Adverse Effects-A Review From Public Health Prospective (Cohen, Weinstein, 2018)